Gebiss vs. Gebisslos

Gebiss vs. gebisslos1

Das Thema führt immer wieder zu Diskussionen. Auch werde ich des Öfteren danach gefragt, wieso ich denn nicht ausschließlich gebisslos reite.
Ich muss sagen das es eine Zeit gab wo ich intensiv darüber nachgedacht habe auf gebisslos umzusteigen. Damals, vor einigen Jahren, war Blue sehr unzufrieden mit dem Gebiss. Das lag auch daran, dass ihm vieles sehr schwer fiel und er manchmal „überfordert“ war. Durch das nervöse herumgekaue hat er Stress abgebaut. Heute macht er das nur noch, wenn er gerade absolut keine Lust auf das hat, was ich gerade von ihm will (wenn er z.B. meint er ist ein Rennpferd und Rennpferde sollten rennen und nicht auf der Stelle stehen).
Kauen ist grundsätzlich nicht negativ, denn dadurch können sich auch Verspannungen lösen. Das was Blue damals gemacht hat war jedoch nicht das zufriedene auf dem Gebiss kauen was gewünscht ist, sondern es war ein sehr unzufriedenes kauen, welches seinen Unmut ausdrückte.
Ich habe wirklich ewig nach einem passenden Gebiss gesucht, was er zufrieden annimmt und hatte auch einige ausprobiert. Dieses habe ich dann zum Glück auch vor einigen Jahren durch Freunde von mir gefunden, Blue läuft total zufrieden damit und steht ganz weich an den Hilfen.
Ja, aber wieso bin ich denn nicht umgestiegen? Einige werden sicher denken, da macht sie sich sonst so viele Gedanken über alles und macht so einen auf „ich versuche immer zum Wohl des Pferdes zu handeln“ und dann schnallt sie ihrem Pferd ein Gebiss ins Maul.
Ich muss dazu sagen, dass ich weder ein absoluter Befürworter noch Gegner für/gegen Gebiss/Gebisslos bin. Bei allem was ich tue, versuche ich alles sehr neutral zu betrachten.
Denn die gebisslose Zäumung wird heutzutage mindestens genauso „missbraucht“ wie das Gebiss. Nur weil kein Gebiss im Pferdemaul ist, heißt es nicht, dass es gleich pferdefreundlicher ist. Ich hab Leute mit einer gebisslosen Zäumung reiten sehen, da tat mir das Pferd wirklich leid. Denn auch mit einer gebisslosen Zäumung kann man eine Menge kaputt machen, z.B. das empfindliche Nasenbein. Ob nun ein gebrochenes Nasenbein oder ein gebrochener Kiefer besser ist, sei mal dahin gestellt. Fakt ist, man kann aus beiden Dingen ein „Folterinstrument“ fürs Pferd machen. Natürlich gibt es durchaus Gebisse wo ich mir denke, die müssten nun wirklich nicht auf dem Markt sein. Aber es gibt auf der anderen Seite auch abenteuerliche gebisslose Varianten, wo ich es ähnlich sehe.
Auch gebisslose Zäumungen werden zum Teil falsch verschnallt und/oder falsch angewendet – die Fehler die man also machen kann, sind die gleichen.
Blue läuft mit Gebiss toll und auch ohne Gebiss. Es gibt sicher Pferde die empfinden gebisslos angenehmer, anderen Pferden ist es egal und wieder andere bevorzugen möglicherweise ein Gebiss. Jedes Pferd ist da einfach verschieden und man kann, egal was man mit dem Pferd tut, nie alles verallgemeinern. Denn jedes Pferd ist ein Individuum und empfindet andere Dinge als angenehm/unangenehm.

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Natürlich muss man auch das passende Gebiss erst ein Mal für sein Pferd finden, denn wie ich von Blue gelernt habe, so kann die Suche durchaus kompliziert sein und lange dauern.
Was ich dazu sagen muss, ein Gebiss hat für mich absolut NICHTS mit „Kontrolle“ zu tun. Blue reagiert auf Hilfen gebisslos genauso gut wie mit Gebiss.
Der ausschlaggebende Punkt für mich ist die Dressurarbeit. Viele gebisslose Zäumungen sind eigentlich nicht dazu gedacht um mit einer dauerhaften Verbindung zu reiten, eher ist es ein Impulsreiten. Immerhin wirke ich bei den meisten gebisslosen Zäumungen auf das Nasenbein ein (bei anderen zusätzlich aufs Genick). Das Nasenbein ist sehr empfindlich und ein Knochen, welcher wenn man es so will nicht „nachgeben“ kann, auch ist dort nur eine dünne Hautschicht drüber. Reite ich mit dem Gebiss und wirke gezielt auf die Mundwinkel darauf ein, dann habe ich dort noch ein gewissen „Spielraum“ da die Mundwinkel zum gewissen Grad nachgeben, ich wirke dann also nicht direkt „Druck“ auf einen Knochen aus. Ich bin ein Reiter mit einer sehr feinen Hand, wäre es anders würde ich von Blue direkt eine Rückmeldung bekommen, denn das nervöse auf dem Gebiss herumgekaue macht er noch immer wenn ich z.B. mal aus Versehen eine zu harte Parade gegeben habe oder zu viel Druck aufbaue (wobei Blue echt pingelig ist, was er als „hart“ kennt ist bei anderen „normal“). Somit habe ich ein direktes Feedback um darauf reagieren zu können. Jeder der Blue kennt weiß, dass er demjenigen der drauf sitzt direkt mitteilt, wenn ihm was nicht passt – was mir persönlich auch sehr wichtig ist.
Gebisslos läuft Blue wirklich toll v/a, aber ich bekomme ihn nur schwer versammelt. Er braucht diese Verbindung zum Kopf bzw. diese Anlehnung als „Sicherheit“ weil es ihm aufgrund seines Exterieurs schwer fällt sich von selbst zu versammeln und zu tragen. Es gibt Pferde denen fällt das total leicht und die machen das fast schon von sich aus, wenn sie es mal gelernt haben – Blue gehört leider nicht dazu. Mit einer Verbindung meine ich auch nicht, dass ich x kg Gewicht in der Hand habe.
Natürlich würde ich ihn sicher früher oder später auch gebisslos in die Versammlung bekommen, aber wieso soll ich es ihm unnötig schwer machen? Noch dazu, da er mit dem Gebiss wirklich sehr schön und zufrieden läuft.
Da er auch ein Pferd ist, was dazu neigt auf die Vorhand zu fallen und das auf Dauer ungesund ist, muss ich ihn beim Reiten immer mal wieder aufnehmen und „hoch holen“ um ihn etwas auf die Hinterhand zu setzen. Ohne Gebiss geht das auch, da hab ich vorne aber weitaus mehr „Gewicht“ in der Hand als mit Gebiss und ich hab in meinem Kopf wirklich ein Problem zu viel Druck auf einen Knochen auszuüben. Im Maul bekomme ich ein direktes Feedback an meine Hand, verspannt er sich im Maul, ist er locker, ist er ruhig oder unruhig?  All das fühle ich ja. Diese Rückmeldung fehlt mir wenn ich gebisslos reite, weil der Knochen keine direkte „Rückmeldung“ geben kann. Auch kann ich mit dem Gebiss das Pferd zum Kauen animieren, denn wie oben beschrieben, hat das Kauen durchaus auch positive Eigenschaften.
Im Gelände habe ich das Gebiss meistens dann drinnen, wenn ich ein wenig Dressurarbeit mit einbauen möchte. Ansonsten kann ich aber auch jederzeit gebisslos los reiten. Meine gebisslose Zäumung ist so eingestellt, dass keine extreme Hebelwirkung vorhanden ist.

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Mit Gebiss ist das Reithalfter sehr locker verschnallt, wodurch er ohne Probleme auch normal kauen kann. Da ich kein Fan von einem Sperrriemen bin, habe ich die Halterung an all meinen Trensen abgetrennt. Auch wenn ich das Reithalfter locker verschnallt habe, so läuft Blue mit Reithalfter viel zufriedener, als wenn ich es abmache. Das liegt denke ich daran, dass das Gebiss – trotz locker verschnalltem Reithalfter – ruhiger im Pferdemaul liegt. Anders ist es beim Longieren, das mache ich ausschließlich ohne Gebiss und i.d.R. mit Kappzaum. Über einen Kappzaum kann man meiner Meinung nach das Pferd viel besser Stellen/Biegen als mit Trense. Denn beim longieren mit Gebiss, hat man auf einer Seite immer mehr Druck.

Blue fällt das gymnastizieren beim Reiten mit Gebiss leichter, er reagiert da viel feiner drauf und ich bin niemand, der vorne viel in der Hand haben möchte. Mit Gebiss hab ich so gut wie nichts in der Hand, die Hilfen kommen feiner und präziser an und ich bekomme ein direktes Feedback von Blue.
Meiner Meinung nach hat das auch nicht direkt etwas mit dem Können vom Reiter zu tun. Denn viele gebisslos Verfechter sagen Leuten, welche mit Gebiss reiten, gerne mal nach, dass sie es ohne Gebiss nicht können. Aber ein Pferd wirklich fein auszubilden, das erfordert sowohl Können mit, als auch ohne Gebiss. Ein gut ausgebildetes Pferd (mit Gebiss) kann ich i.d.R. auch korrekt gebisslos reiten – umgekehrt natürlich genauso. Denn wie wir wissen, gehört zum richtigen Reiten nicht nur die Zäumung, auch Gewichts- und Schenkelhilfen spielen eine Rolle und die sind letztendlich gleich.
Gebisslos reagiert Blue auch auf kleine Hilfen, jedoch kommen dies m.M.n. etwas „schwammiger“ und „ungenauer“ an.
Letztendlich habe ich den Weg gewählt, den Blue bestimmt hat. Denn er hat deutlich gezeigt, dass es ihm mit Gebiss leichter fällt. Wieso sollte ich es ihm also unnötig schwer machen? Dadurch frustriere ich ihn ja eigentlich eher.
Ich denke beides hat seine Vor- und Nachteile, wie letztendlich alles. Wichtig ist immer, dass Pferd und Mensch sich wohl damit fühlen und es eben zum entsprechenden Paar auch passt.
Mit ruhigem Gewissen kann ich das mit mir und meiner Einstellung, immer den besten Weg für mein Pferd zu wählen, vereinbaren.
Jeder muss da eben seinen Weg finden und auf unserem Weg begleitet uns sowohl ein Gebiss als auch eine gebisslose Zäumung. Ich würde auch sagen, dieser Mix aus gebisslos und Gebiss ist für uns genau richtig. Die Abwechslung nimmt Blue gerne an und er läuft mit beidem sehr zufrieden.
Letztendlich darf man nicht vergessen, dass man mit beiden Varianten viel kaputt machen kann und am Ende sollte man da auch auf sein Pferd hören. Denn wie heißt es so schön: „Jede Zäumung ist nur so scharf wie die Hand des Reiters“.

Wer gebisslos reiten möchte sollte auf jeden Fall bei seiner Versicherung nachfragen, ob gebissloses Reiten versichert ist. Denn nicht bei allen Versicherungen ist das direkt dabei.

 


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